Mobilität: Der Alltag war öffentlich
Das Auto spielte in puncto Mobilität auch in der DDR die größte Rolle. Darüber informierten wir in drei anderen Geschichten, etwa in dem Beitrag über die PKW-Produktion in Ostdeutschland. Aber der Alltag war stark geprägt von einem preiswerten Nahverkehr, der auch die letzten Winkel des Landes erreichte. Anders als in der Bundesrepublik, wo in den 1960er Jahren ein „Straßenbahn-Sterben“ einsetzte, favorisierte man in der DDR die Tram. So wurden ab 1968 die nahezu unverwüstlichen Modelle T3 und die fast baugleichen, etwas schmaleren T4D von tschechischen Unternehmen Tatra angeschafft. Im Zuge der osteuropäischen Vereinheitlichung dominierten m Busverkehr die Fahrzeuge aus Ungarn: Ikarus 55, 66, 250 oder 280 transportierten verlässlich Pendler und Schüler. Bei den PKWs waren Autos aus den „Bruderländern“ beliebt, oft selten zu haben und als Gebrauchte teilweise billiger als ältere Trabants oder Wartburgs.
Made in UdSSR – von Kleinwagen und „Bonzenkarren“
Der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan erzählte einst einen Witz, der dann auch in der UdSSR kursierte: Ein Bürger will ein Auto kaufen und geht zur Behörde. Dort sagen sie ihm, er solle in zehn Jahren wiederkommen. „Vormittags oder nachmittags?“ fragt der Mann nach und der Beamte erwidert, was das denn für einen Unterschied machen würde?“. Die Antwort: „Nun, vormittags kommt der Klempner.“ Tatsächlich waren die Wartezeiten auf Autos in allen Ostblockländern groß, auch, weil der Individualverkehr zunächst nicht an oberster Stelle der Planungen stand. Aber es gab Bestrebungen, den Automobilbau zu forcieren. Die Sowjetunion hatte zum Beispiel die ostdeutschen Werke von BMW, der Auto Union oder auch von Opel als Reparationsleistung demontiert. So ist es auch verständlich, dass der Moskwitsch 400 ein Nachbau des Vorkriegs-Kadetts war. Der Vater des Autors, KFZ-Meister bei Opel, konnte bei Besuchen in der DDR tatsächlich auch Fahrern der Modelle 407 oder 412 helfen. Moskwitsch waren einfach aufgebaut und – wie Opels – unverwüstlich. Der deutlich an den Fiat 600 erinnernde Saporoschez SAS-965 hatte übrigens einen Kurzauftritt im James-Bond-Film „Golden Eye“: Dort wird er durch einen Schlag mit dem Vorschlaghammer gestartet. So geht’s also auch. Vermutlich sogar beim Nachfolger Saporoschez ZAZ-968.
Der Mercedes des Ostens war der Wolga – beziehungsweise die Wolga-Modelle von GAZ, speziell die Baureihen 21, 22 und 24. Letztere kamen in der DDR gern als Taxi oder im Polizeidienst zum Einsatz. Denn die Limousinen boten Platz und mit 85 PS ausreichend Kraft. Die stärkste Variante leistete 197 PS, sie wurde aber ausschließlich an den KGB abgegeben. Die oberste Politikerriege in der UdSSR fuhren indes keinen Wolga, sondern ließ sich erst vom GAZ 13, den „Tschaika“, chauffieren. Und dann nutzte man die Straßenkreuzer des Moskauer Staatsbetriebs Sawod imeni Lichatschowa, kurz SIL oder ZIL. So setzte Autonarr Leonid Breschnew auf den 300 PS starken ZIL 114. Wie sehr die Staatslimousinen von SIL/ZIL tatsächlich an amerikanische Vorbilder angelehnt waren, ist Stoff für eine ganz eigene Geschichte…
Ganz viel Fiat
Fiat global: Natürlich kennt man die italienischen Derivate etwa aus Weinsberg in Baden-Württemberg, aus Spanien oder auch aus Ägypten. Aber der italienische Konzern vergab Lizenzen gern auch an die Länder im Ostblock. Jugoslawien baute Fiats dann unter dem Namen Zastava, in Polen gab es bis zum Jahr 2000 die Polski-Fiat, etwa auf Basis des 124 oder des winzigen 126. Letzteren nannte man „Knirps“, also auf polnisch „Maluch“, und nutzte den Zwerg auch als Familienauto für sechs Personen. Ein Wunder war das nicht, denn der 126p kostete den Gegenwert von 20 Durchschnittslöhnen. In der UdSSR half Fiat in den 1960er Jahren maßgeblich beim Bau einer modernen Fabrik in Stawropol/Samara, der seitdem nach dem italienischen Kommunistenführer Palmiro Togliatti benannten Stadt. Hier, 800 Kilometer südöstlich von Moskau, baut Lada seine Fahrzeuge – den Dauerbrenner und -kletterer Niva, der in der DDR kaum angeboten wurde, den Samara oder auch den „Schiguli“ – und der war im Westen als Lada zu haben: Der Ableger des Fiat 124 wurde zwischen 1970 und 2014 in sieben Typen rund gewaltige 17,5 Millionen Mal gebaut. In der DDR setzte besonders die Volksarmee auf den agilen Russen.
ČSSR und Rumänien
Die Tschechoslowakei war in puncto Autobau innovativ – schon vor dem Zweiten Weltkrieg zeigte das 1895 von Václav Laurin und Václav Klement gegründete Unternehmen Škoda seine hohe Fertigungsqualität. Die begann schon 1905 mit dem „Typ B“. Ab Mitte der 1920er Jahre wurde der „Popular“ zum Bestseller. Nach dem Krieg kam der Konzern aus Mladá Boleslav mit den formschönen Modellen Tudor, Felicia und Octavia zurück und feierte mit den „Heckmotorschleudern“, also dem 1000 MB, dem 1100 MB, dem 100 und der Modellreihe 105 bis „136“ große Erfolge. Rostprobleme bereiteten dem Besitzer am meisten Probleme, technisch waren die Autos mit dem Wiedehopf im Logo so gut, dass sie auch im Westen erfolgreich im Motorsport eingesetzt wurden. Die Firma Tatra baute ab 1897 Automobile und wurde unter anderem dank des Designers Hans Ledwinka berühmt für seine Stromlinienfahrzeuge, zum Beispiel den Tatra 77 von 1934. Dieser hatte bereits einen cW-Wert von nur 0,2455. Nach dem Krieg behielt man die außergewöhnliche Form beim Achtzylinder-Luxusautos 603. Erst der ab 1974 angebotene 613 wurde deutlich kantiger. Aktuell baut Tatra noch eine geringe Zahl von LKW und Radpanzer.
Škoda ist heute – als Teil des Volkswagenkonzerns – auf Expansionskurs. Ähnlich, wie der ehemalige rumänische Staatsbetrieb Dacia. Dessen Produktionsanlagen wurden 1967 mit Hilfe von Renault modernisiert. Zunächst entstand der Dacia 1100 auf Basis des R8 und dann ab 1969 der 1300, der dem Renault 12 entsprach. Dieses Modell blieb als 1310 bis 1982 im Programm. 1978 wurde der Lizenzvertrag mit dem französischen Konzern aufgrund unterschiedlicher Ansichten in puncto Qualität gekündigt – und die Verarbeitung der Fahrzeuge wurde erheblich schlechter. Das schlimmste Kapitel der rumänischen Automobilhistorie ist dann der Dacia 500, der zwischen 1986 und 89 in Timișoara gebaut wurde. Der Kleinwagen, der auch „Lăstun“, also „Schwalbe“ genannt wurde, gilt laut der Zeitschriften „Oldtimer Markt“ heute als schlechtestes Auto aller Zeiten – kilometerweit vor dem Zastava Yugo. Die Mängelliste des Modells umfasste schon bei Auslieferung mehr als 70 Punkte. Damit lag sie über der Höchstgeschwindigkeit von – genau – 70 km/h. Der Dacia 500 wurde nicht in die DDR ausgeliefert.
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Hallo Rameder,
ein echtes Lob für die Artikel zu den Autos in der DDR. Der Autor ist zwar wohl Westdeutscher, aber er geht ohne Vorurteil und mit viel Sachverstand ans Thema. Ich würde mich freuen, wenn Ihr so weitermacht und wenn es für den einen oder anderen „Klassiker-Ost“ eine Anhängevorrichtung gäbe.
Gruß
Maik Hancke
Hallo Maik Hancke,
vielen lieben Dank für das schöne Lob. Das Rameder-Team (und auch der Autor) freuen sich. Natürlich versuchen wir, so weiterzumachen. So viel sei schon verraten: Wir wollen uns demnächst auch mit den Anhängern aus der DDR beschäftigen. Es gab schließlich immer etwas zu ziehen. Zu den AHKs für die Ost-Klassiker: Für diese gibt es, wie Sie sicher wissen, spezialisierte Anbieter. Wir sind allerdings der Überzeugung, dass man Klassiker eher nicht als „Zugpferd“ nimmt. Für einige Lada-Modelle der letzten Jahrzehnte und für alle Niva haben wir aber einen Haken im Angebot. Herzliche Grüße Manfred Prescher